Verantwortung statt Stadtwerke-Bashing – Zur Entgleisung von Octopus-Energy und zur Fehlsteuerung im NEST-Prozess der Bundesnetzagentur

Als Geschäftsführer eines kommunalen Stadtwerks mit jahrelanger Verantwortung für Versorgungssicherheit, Investitionsplanung und Systemstabilität halte ich es für erforderlich, in aller Deutlichkeit auf die jüngsten Einlassungen des Geschäftsführers von Octopus-Energy Deutschland, Herrn Bastian Gierull, zu reagieren:
1. Octopus hat keine Netze – und damit keine Legitimation zur Bewertung von Netzbetreibern
Herr Gierull spricht auf der Plattform LinkedIn in herablassendem Ton über „viele kleine Stadtwerke“, unterstellt mangelnde Effizienz, unterstellt Quersubventionierung aus den Netzentgelten, ohne auch nur im Ansatz die Verantwortung oder die Rahmenbedingungen zu verstehen, unter denen kommunale Netzbetreiber agieren. Es sei daran erinnert: Octopus Energy betreibt in Deutschland keinerlei eigene Verteilnetze. Das Unternehmen ist reiner Energiediscounter ohne physische Verantwortung für Netzinfrastruktur, Netzbetrieb, Investitionen in Resilienz, Lastprognosen oder Redispatch.
Ein Unternehmen, das keinerlei Verantwortung für physische Infrastrukturen übernimmt, aber öffentlich Ratschläge über deren Organisation, Effizienz oder Finanzierung erteilt, disqualifiziert sich selbst. Wer keine Netze betreibt, kann nicht seriös über die Effizienz von Netzbetrieb sprechen. Wer nicht einmal über eine Konzession zur Netzführung verfügt, sollte sich jegliche pauschalisierenden Urteile über Stadtwerke und Netzbetreiber versagen. Octopus ist in dieser Debatte kein Akteur mit Sachautorität, sondern allenfalls ein Lautsprecher eigener Geschäftsinteressen.
2. Kommunale Netze sind Rückgrat der Energiewende – keine Beute für Angriffe aus dem Discountsektor
Die Behauptung, Stadtwerke hätten „jahrelang nichts gemacht“ und mit Netzerträgen „Schwimmbäder“ quersubventioniert, ist nicht nur realitätsfern – sie ist ein Frontalangriff auf das kommunale Selbstverwaltungsprinzip und eine Missachtung der Rolle, die Stadtwerke tagtäglich für Versorgungssicherheit, Netzstabilität und die Umsetzung der Energiewende spielen. Ohne die kommunalen Netzbetreiber gäbe es weder Wärmewende noch E-Mobilitätsausbau noch Netzintegration dezentraler Erzeuger.
Dass ein international finanzierter Stromvermarkter wie Octopus diesen Beitrag kleinredet, zeigt ein gefährliches Maß an ökonomischer Kurzsichtigkeit und politischem Unverständnis.
3. Die Bundesnetzagentur und der NEST-Prozess – ein technokratischer Irrweg
Mit zunehmender Sorge beobachten wir die Entwicklung des sogenannten „NEST“-Verfahrens der Bundesnetzagentur. Was unter dem Etikett einer „Effizienzreform“ daherkommt, ist in Wahrheit eine strukturelle Schlechterstellung gerade derjenigen Netzbetreiber, die in vereinfachten Verfahren operieren – also überwiegend kleiner, kommunaler Betreiber, deren Effizienz und Professionalität seit Jahren unter Beweis stehen.
Dass diesen Betreibern der pauschale Betriebskostenaufschlag künftig versagt werden soll, während große Netzbetreiber im Regelverfahren begünstigt werden, ist nicht nur ordnungspolitisch fragwürdig – es riecht nach einer bewussten Marktstrukturpolitik durch die Hintertür. Die Bundesnetzagentur riskiert damit, sich von einer neutralen Regulierungsinstanz zu einer strategischen Weichenstellerin im Wettbewerb zulasten kommunaler Strukturen zu entwickeln.
4. Unser Appell an die Politik: Neutralität und Realitätssinn wiederherstellen
Die wiederholte politische Kritik an der Ausrichtung der Bundesnetzagentur – zuletzt aus den Reihen der CDU/CSU-Bundestagsfraktion – ist berechtigt. Es darf nicht sein, dass eine Bundesbehörde durch faktische Regulierungsentscheidungen die wirtschaftliche Basis kommunaler Daseinsvorsorge gefährdet und dabei von lauten Marktschreiern flankiert wird, die selbst keinerlei Beitrag zur Netzverantwortung leisten.
Wir fordern daher:
eine Rückbesinnung auf die Gleichbehandlung im Regulierungsrahmen,
eine faire Anerkennung der spezifischen Bedingungen im vereinfachten Verfahren,
und ein Ende der öffentlichen Herabwürdigung durch Akteure ohne Infrastrukturverantwortung.
Die Energiewende braucht starke kommunale Netzbetreiber – keine PR-getriebene Diskreditierung durch marktferne Akteure.
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